Juni 10, 2020

Eigentlich geht es uns gut. Ziemlich gut, um genau zu sein.
Alles in allem haben wir die letzten Wochen und Monate gut gemeistert und können uns nicht beschweren.
Wir haben alles was wir brauchen und noch viel mehr. Nichtmal Hefe und Klopapier sind uns ausgegangen.
Wir arbeiten beide normal, sind weder von Kurzarbeit, noch von finanziellen Einschränkungen betroffen und haben ein Haus auf dem Land mit großem Garten und können jederzeit vor die Türe.
Weil man als 12jährige auch mal ein paar Stunden alleine zu Hause bleiben kann, gab es für uns auch nie ein Betreuungsproblem. Außerdem wohnen unsere Familien im gleichen Dorf, die wir während der Kontaktsperre natürlich nicht besucht haben, die im Notfall aber um die Ecke gewesen wären.

Ehrlich gesagt habe ich die Entschleunigung auch genossen und genieße sie noch. Einfach mal keine Termine und nur freie Wochenenden zu haben. Das Kind nicht um 6.30 Uhr aus dem Bett quälen zu müssen, Abends keine Brotdose vorzubereiten und nicht so streng sein zu müssen, was die Schlafenszeit angeht. Außerdem habe ich unsere Tochter am liebsten um mich rum.

Wir sind auch ziemlich traurig, dass wir dieses Jahr vermutlich nicht mehr nach London kommen und wir nicht, wie geplant, Billie Eilish, Robbie Williams, die Hollywood Vampires und noch ein paar weitere Künstler live sehen werden.
Die Ski-Klassenfahrt nach Italien musste Anfang März natürlich auch abgesagt werden, das war unsere erste persönliche Einschränkung in Bezug auf Covid 19, noch vor Schulschließung und Kontaktsperre. Darüber hinaus hat das Kind die Zeit ohne Freunde und Reitunterricht ziemlich tapfer überstanden und sich nie ernsthaft beschwert. Glücklicherweise weiß sie sich aufgrund ihrer Kreativität immer gut zu beschäftigen.
Einen kleinen emotionalen Durchhänger hatten wir an Ostern, aber auch das haben wir mit Aussicht auf bald wiederkehrende Familientreffen unbeschadet überstanden.

Wenn es einem eigentlich so gut geht und man alles hat, darf man dann trotzdem laut aussprechen, dass vielleicht doch nicht immer alles so rosig ist?
Darf man, obwohl die Welt gerade viel größere Probleme hat, zugeben, dass manchmal einfach alles schei*e ist? Darf man auch mal egoistisch fragen: Und was ist mit mir?


An manchen Tagen ist mir - wie auch außerhalb einer Pandemie - einfach alles zuviel und kocht über. Dann stehe ich am Rande eines Nervenzusammenbruchs, könnte schreien, einen Teller an die Wand werfen oder einfach weglaufen. Dann will ich einfach nicht mehr 1000 Dinge gleichzeitig machen müssen. Will nicht 10 Stunden oder länger arbeiten, Wäsche waschen, putzen, kochen, einkaufen, Papierkram und unzählige weitere unsichtbare Dinge erledigen und mich dann zusätzlich auch noch mit dem Unterrichtsstoff der siebten Klasse eines Gymnasiums rumschlagen. Wenn man mehrere Jobs ausübt, bleibt immer irgendwas auf der Strecke und das macht auf Dauer unzufrieden. Ich bin keine Lehrerin und kann und will auch keine sein. Ich kann problemlos eine Nähanleitung oder ein Brotrezept erklären, aber meinem Kind keinen vollwertigen Lehrer ersetzen. Ich schaffe es auch nicht, ein 12jähriges Pubertier zum Fleiß zu motivieren. Schon gar nicht mein eigenes. Wenn mir morgens schon Bockigkeit entgegenschlägt, dann nervt mich das tierisch. Und wenn dann alle zur gleichen Zeit etwas von mir wollen und ich in diesem Moment keinerlei Unterstützung zu erwarten habe, für alle mitdenken muss, mit allen Aufgaben und Herausforderungen alleine da stehe, weil ich ja schließlich überwiegend von zu Hause arbeite und tagsüber automatisch da bin und zu sein habe und mir als Tropfen auf den heißen Stein zusätzlich noch vermittelt wird, dass ich am Ende doch nichts geschafft habe, dann kocht der Kessel irgenwann über.


Meist schlägt mir dann mein 12jähriges Spiegelbild lautstark entgegen und holt mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Aber zum Glück bin ich stark und habe nach einem Durchhänger meist schnell wieder die Energie nach vorne zu sehen und meinen Kopf selber wieder auf den richtigen Platz zu rücken. Und dann bald auch hoffentlich mal wieder ein bisschen Zeit nur für mich, um mich auf Dauer nicht selbst zu verlieren.

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2 Kommentare

  1. DANKE
    Ja, auch wenn es einem gut geht, darf man mal jammern. Zum einen hilft es, sich das mal von der Seele zu schreiben. Es hilft auch anderen, die sehen, nicht nur heile Welt. Und meist weiß man genau danach wieder sehr gut, wie gut es einem geht, ist geerdet und kann weitermachen.

    Bei uns ist vieles ähnlich, und doch so unendlich anders. Ich bin immer noch am ÜBerlegen, ob ich das alles versuchen soll in Worte zu fassen und zu veröffentlichen. Traue mich allerdings nicht, weil ich weiß, dass mein Chef mitliest. Und da er ein Teil des Problems ist, kann ich darüber nicht schreiben - aber den Part auszuklammern verschleiert das große Ganze - das ganze Unheil, die ganze Macht, die mich ab und zu niederdrückt, dass ich mich im Bett verstecken und weinen möchte.

    Ganz liebe Grüße - du machst das super! Genau so, wie du es machst!

    Zottellotte Sonja

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    1. Danke für deine aufbauenden Worte, liebe Sonja.
      Es tut gut zu lesen, dass ich mit meinen Empfindungen nicht alleine bin.
      Dir wünsche ich viel Kraft deine Sorgen und Probleme anzugehen und hoffentlich bald aus der Welt zu räumen.

      Viele liebe Grüße,
      Sarah

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